In den letzten zehn Kapiteln beleuchteten wir Prinzipien gelungener (Unterrichts-)Gespräche, angefangen bei Konrad Lorenz „Gemeint ist nicht gesagt …“ über Konfliktlösungen bis hin zu den Vertrauensboostern Klarheit, Konsequenz und Kontinuität. Was für ein gelungenes Miteinander aber unbedingt noch thematisiert werden sollte, ist die Stärkung des Möglichkeitssinns.
Wirklichkeit ist langweilig. Der Möglichkeitssinn bringt’s
Der Autor Robert Musil erfand diesen Begriff: „Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, dann muss es auch einen Möglichkeitssinn geben. Hat man diesen, denkt man: Es könnte auch anders sein.“ Doch warum ist der Möglichkeitssinn so wichtig?
Wir leben in einer Zeit, in der wir immer schneller zukunftsfähige Lösungen für Probleme erfinden müssen, die nichts mit der Vergangenheit zu tun haben. Das Dumme ist: Unser Gehirn denkt gerne in altbekannten Bahnen und erfindet in der Regel nur ungern radikal neue Lösungen.
Ich zeige Ihnen daher drei einfache und wirksame Kreativitätstechniken, mit denen Sie und Ihre Teilnehmenden im Unterricht leichter neue Möglichkeiten finden.
Denken in Extremwerten
Diese Methode basiert auf extremen Übertreibungen. Lässt man sich darauf ein, findet man häufig neue und spannende Ansätze, die man im Alltag umsetzen kann. Typische Fragen sind zum Beispiel:
- Was müsste geschehen, damit wir in 30 Tagen alles perfekt beherrschen?
- Wie könnten wir ab morgen doppelt so viel verarbeiten/das Gleiche in der halben Zeit bewältigen?
- Wie haben wir es geschafft, dass im Kurs alle beim ersten Prüfungsdurchlauf bestehen?
Die Übertreibungen können positiv oder negativ sein. Das Grundprinzip ist dabei einfach:
- Definieren Sie Ihr Problem und übertreiben Sie bei den Lösungen radikal.
- Reduzieren Sie dann erst die Lösungsansätze wieder auf das machbare Maß.
SCAMPER
Diese Methode basiert auf sieben Schlüsselfragen zu Ihrem fachlichen Problem, zum Unterricht oder zum Lernen.
S | Substitute | Welche Komponenten, Materialien, Personen können wir ersetzen? |
C | Combine | Welche Funktionen, Dienstleistungen können wir kombinieren? |
A | Adapt | Was können wir wo ergänzen? |
M | Modify | Wo können wir Farben, Größe, Materialien, Menüpunkte modifizieren? |
P | Purpose | Wie können wir Vorhandenes noch anders nutzen? |
E | Eliminate | Was können wir entfernen, vereinfachen, reduzieren? |
R | Reverse | Wo, wann, wie können wir die Reihenfolge ändern? |
Hüte aufsetzen
Bei dieser Kreativitätsmethode werden den Lernenden verschiedene Rollen zugewiesen, die sie für eine bestimmte Zeit einnehmen. Sie können diese Rollen auch gerne weitergeben. Wenn Sie ein Problem haben oder eine Lösung finden möchten, werden folgende Rollen bzw. Hüte vergeben:
- Optimist: Wie würde ein Optimist das Problem sehen und lösen?
- Pessimist: Wie würde ein kritischer, ängstlicher Mensch das Thema angehen?
- Realist: Was würde ein nüchterner, fakten- bzw. ordnungsorientierter Mensch nun tun?
Diese Methoden brauchen Übung und Zeit. In nur zwei Minuten zu neuen Ideen? Das funktioniert nicht. Aber Kreativität lässt sich fördern. Formulieren Sie eine fachliche Herausforderung, fordern Sie Ihre Teilnehmenden zum Denken in Extremwerten auf und gehen Sie dann mit Ihnen einfach einmal spazieren, um die Gedanken im Gehen zu besprechen. Beim Spazieren lösen sich im Gehirn viele Denkblockaden von ganz allein auf. Sie werden überrascht sein.
Viel Spaß, alles Gute und bis zum nächsten Mal,
Über den Autor
Dr. phil. Gregor Kern
Ausbildung zum Großhandelskaufmann, danach Studium der Pädagogik einschließlich Promotion.
Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen:
- Lernen erwachsener Menschen
- Zusammenarbeit, Kommunikation, Führung
Dr. Kern arbeitete viele Jahre für verschiedene IHKs im Bereich der beruflichen Bildung, zuletzt als pädagogischer Leiter des IHK-Bildungszentrums in Karlsruhe. Seit 2016 ist er freiberuflicher Trainer, Berater und Coach.