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Deutsche Prüfung made in China

Eine Erfolgsgeschichte mit Pilotcharakter
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© GettyImages_silkwayrain

Das deutsche System der Höheren Berufsbildung leistet einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und genießt schon aus diesem Grund international hohe Anerkennung. Den guten Ruf verdankt es auch den AHKs. Sie machen das System der dualen Ausbildung sowie der darauf aufbauenden Abschlüsse der Höheren Berufsbildung im Ausland bekannt und bieten Unternehmen bei Bedarf auch berufliche Qualifizierungen sowie die entsprechenden Prüfungen nach deutschen Standards. Nicht zuletzt wächst das hohe Ansehen von ganz allein durch die internationale Mobilität von Fach- und Führungskräften und die weltweiten Verflechtungen der Wirtschaft. Wenn Fach- und Führungskräfte mit IHK-Abschluss im Ausland arbeiten, sind sie automatisch auch Botschafter für die Höhere Berufsbildung.

Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht so verwunderlich, dass bei der IHK Magdeburg ein ehemaliger Teilnehmer des Prüfungsvorbereitungslehrgangs „Geprüfte Industriemeister Elektrotechnik“ nachfragte, ob er die schriftliche Prüfung für den handlungsspezifischen Teil seines Abschlusses in China ablegen könne. Wie die IHK und die Prüfenden des zuständigen Prüfungsausschusses das ermöglicht haben, ließen wir uns vom verantwortlichen IHK-Mitarbeiter, Burkhard Hermecke, erklären.

Herr Hermecke, die schriftliche Prüfung in China ablegen, wie funktionierte das?

Burkhard Hermecke: Das Ganze hat sich über einen längeren Zeitraum angebahnt. Herr Gube hatte bereits 2018 seine schriftliche Prüfung für die Basisqualifikationen und für die AEVO bei uns in Magdeburg erfolgreich abgelegt. Er arbeitete schon damals immer wieder für längere Phasen in China, bis er schließlich, nachdem er auch den zweiten Teil des Lehrgangs abgeschlossen hatte, dorthin auswanderte. Ursprünglich war die Idee, dass er den noch ausstehenden handlungsspezifischen Teil der Prüfung während eines Urlaubes im Frühjahr 2022 bei uns absolviert. Aber während der Zeit war wegen der Coronapandemie kein Rauskommen aus China möglich und so kam es zu der Anfrage: „Kann ich die Prüfung nicht hier in China schreiben?“

Und wie sind Sie vorgegangen?

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Burkhard Hermecke

Mitarbeiter Prüfungswesen bei der IHK Magdeburg,

Mitglied der ständigen Projektgruppe für Weiterbildungsprüfungen in der DIHK

© Burkhard Hermecke

Ich habe mich zuerst bei anderen IHKs erkundigt, wie sie vergleichbare Fälle gelöst haben. Über das IHK-AHK-Netzwerk zeigte sich schnell, dass sich die AHK Greater China bereits für die berufliche Aus- und Weiterbildung engagiert. Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort kannten somit die besonderen Anforderungen der Höheren Berufsbildung. Das hat die Abstimmungen rund um das „Wie machen wir das möglich?“ sehr erleichtert.

Außerdem habe ich Kontakt mit der DIHK-Bildungs-gGmbH aufgenommen, denn hier haben sie im Bereich der Abschlusstests für IHK-Zertifikatlehrgänge schon einige Erfahrungen gesammelt, wie schriftliche Prüfungen digital durchgeführt werden können, auch wenn Teilnehmende nicht in der IHK vor Ort anwesend sind (Stichwort: Proctoring, siehe rechte Spalte). In unserem Falle waren wir aufgrund der Prüfungsverordnung allerdings ans Papier gebunden, deshalb schied diese Möglichkeit aus.    

Insgesamt muss man den Kontext einer bundeseinheitlichen Prüfung im Blick haben, bei der zum Beispiel die Geheimhaltung der Prüfungsaufgaben zu gewährleisten ist, weil diese an allen Prüfungsstandorten zeitgleich bearbeitet werden. Wenn hierbei, warum auch immer, etwas schiefgeht, könnte das dazu führen, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Prüfung abbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen müssen. Zusätzlich mussten wir also auch die Zeitverschiebung in die Planung exakt einbeziehen. Die Vorbereitungen und weitere Schwierigkeiten, die in China für die Dauer der Coronapandemie nicht zu lösen waren, führten schließlich dazu, dass der Teilnehmer seine Prüfung nun im Frühjahr 2023 in Shanghai geschrieben hat.  

Wie genau wurde die schriftliche Prüfung durchgeführt?

Für Herrn Gube als Prüfungsteilnehmer gab es bei der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Shanghai extra einen Raum. Punktgenau wie in Deutschland, nur eben zeitverschoben, erhielt er die Prüfungsaufgaben und eine Formelsammlung. Außerdem gab es eine Aufsichtsperson vor Ort. Ich selbst habe für die Dauer der Prüfung eine gesicherte Video-Verbindung zu ihm gehabt, um ggf. Fragen im Rahmen des Erlaubten zu beantworten und die Prüfung ebenfalls zu beaufsichtigen – in gewisser Weise eine vereinfachte Form des Proctorings.

Ein Mitarbeiter der AHK hat die Lösungsblätter am Schluss zur Sicherheit kopiert und die Originalblätter dann nach Magdeburg zur Korrektur durch unseren Prüfungsausschuss verschickt.

Das klingt nach gutem Teamwork.

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© GettyImages_xiijan

In der Tat konnte man bei dieser Prüfung erleben, wie engagiert sich alle Beteiligten gemeinsam dafür eingesetzt haben, Herrn Gube den Abschluss zu ermöglichen. Das ist dem jungen Mann auch nicht entgangen, er hat sich ausdrücklich für die tolle Unterstützung in Deutschland und China bedankt. Das große Kompliment geht auch an die Prüferinnen und Prüfer. Die eintreffende Prüfung haben sie mit der gewohnten Professionalität zeitnah bewertet. Natürlich kam sofort der Witz auf, dass der Ausschuss für die mündliche Prüfung dann wohl nach Shanghai reisen müsste. (lacht)

Und wie haben Sie die mündliche Prüfung organisiert?

Wir hatten mit den Ausschussmitgliedern und mit der AHK bereits abgestimmt, die mündliche Prüfung als Videokonferenz durchzuführen. So ein Vorgehen wäre sicher pragmatischer gewesen, als nach Shanghai zu fliegen. In diesem Fall wollte Herr Gube aber unbedingt selbst in Magdeburg erscheinen, es sollte zugleich ein besonderer Heimaturlaub sein. Der Arbeitgeber wollte ihm diesen Urlaub aber aus Angst vor langwierigen Quarantäneauflagen bei der Wiedereinreise nicht genehmigen. So eine Restriktion kennen wir hier bei uns gar nicht. Herr Gube hat sich mit dem Unternehmen auch wegen anderer Fragen zum Arbeitsverhältnis letztlich nicht einigen können und so ist es am Ende dazu gekommen, dass er in diesem Sommer nach insgesamt über zehn Jahren Auslandsaufenthalt wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist.

Was die mündliche Prüfung abgesehen von der überraschenden Wendung angeht: Die verlief wie gewohnt und wie bei allen anderen Teilnehmenden auch. 

Wissen Sie etwas darüber, warum Herr Gube trotz dieser vielen Hürden und Schwierigkeiten unbedingt die Prüfungen ablegen wollte? Was hat ihn motiviert?

Ich kann sagen, dass hier jemand den Biss hatte, die anspruchsvolle Weiterbildung bis zum Abschluss durchzuziehen. „Was auch immer kommt, mein Titel als Industriemeister zeichnet mich aus und den habe ich in der Tasche“, so könnte man die Mentalität beschreiben. Ich erlebe das bei vielen Prüfungsteilnehmerinnen und -teilnehmern: Wer einen gewissen Punkt bei den einzelnen Prüfungsteilen überschritten hat, lässt sich von Schwierigkeiten nicht so leicht aus der Bahn werfen. Das ist, wie ich finde, eine besondere Qualität der Absolventinnen und Absolventen der Höheren Berufsbildung.

Ich habe auch erfahren, dass das chinesische Unternehmen den Industriemeisterabschluss von seiner Bedeutung her durchaus kennt und schätzt, auch wenn Nachwuchstalente dort üblicherweise von den Unis kommen und es dort keine berufliche Aus- und Weiterbildung wie in unserem Berufsbildungssystems gibt. Deshalb hat der Arbeitgeber Herrn Gube auch für die Reise nach Shanghai freigestellt. Der Fortbildungsabschluss besitzt eine hohe Reputation – auch international.

Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass so eine Rückmeldung auch eine großartige Bestätigung und Wertschätzung für unsere Prüferinnen und Prüfer bedeutet. An dieser Geschichte zeigt sich, dass der Wert des ehrenamtlichen Engagements der IHK-Prüferinnen und -Prüfer weit über unsere regionalen und nationalen Grenzen hinausgeht.

Welches Fazit ziehen Sie noch? 

Ich denke, dass wir und andere IHKs diese Erfolgsgeschichte in Zusammenarbeit mit den AHKs sicher multiplizieren können. Im Grunde befinden wir uns auf dem Weg, die Lehrgänge digital durchzuführen und Schritt für Schritt auch die Prüfungen ortsungebunden abnehmen zu können. Zu Ende gedacht: Unternehmen können ihre Mitarbeitenden weltweit nach deutschen Qualitätsstandards beruflich qualifizieren – die IHKs und AHKs sind die Möglichmacher. Ich sehe das auch als Erweiterung unserer Chancen für die Fachkräftesicherung.

Die Digitalisierung wird den Prüfungsbereich immer mehr verändern. Aber die Wirtschaft und die Beschäftigten erwarten in unserer heutigen digitalisierten Arbeitswelt auch flexible und digitale Formen der Prüfungsdurchführung. Das sehe ich schon hier vor Ort, denn die IHK Magdeburg ist eine Flächenkammer. Bei uns können die Wege, um zum Beispiel an einem Lehrgang oder an einer Prüfung in Präsenz teilzunehmen, ziemlich weit sein. Schon deshalb sind wir daran interessiert, dass digitale Formate wie zum Beispiel eine mündliche Prüfung als Videokonferenz allen Beteiligten dabei helfen, langwierige Fahrten zu vermeiden und Ressourcen zu sparen. Wichtig ist hierbei nur, dass wir unseren IHK-Kern immer im Blick behalten: Qualität aus der Praxis für die Praxis.   

Herr Hermecke, vielen Dank für Ihren inspirierenden Erfahrungsbericht!


Sebastian Gube, Geprüfter Industriemeister:

In meinen knapp 23 Berufsjahren musste ich persönlich oft die Erfahrung machen, dass, sobald etwas vom Standard abweicht und zusätzlicher Zeitaufwand vonnöten ist, in der Regel keine Unterstützung mehr geleistet wird. Umso mehr bin ich von der IHK-AHK-Organisation positiv überrascht worden, dass die komplette Durchführung meiner Prüfungen von vorn bis hinten ohne Zwischenfälle ablief. Ich musste nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, alles andere war vorhanden und organisiert.

Proctoring – die digitale Prüfungsaufsicht

Beim Proctoring handelt es sich um eine digitalisierte Form der Fernaufsicht. Die Technik ist noch relativ jung, doch es gibt bereits entsprechende Angebote, die die DIHK-Bildungs-gGmbH in Zusammenarbeit mit einigen IHKs im Bereich der Abschlusstests für IHK-Zertifikatslehrgänge erprobt hat.

Üblicherweise muss jeder Teilnehmende des digitalen Tests die Kamera seines Tablets oder Notebooks aktivieren, in manchen Fällen ist zudem eine mobile Kamera hinzuzuschalten, die den Raum als Ganzes erfasst. Wesentlich ist aber, dass der Bildschirm des Endgerätes virtuell gespiegelt wird. Bei einem neutralen und abgesicherten Dienstleister laufen die entsprechenden Bilddaten zusammen und ermöglichen eine Echtzeitaufsicht der Person sowie aller Eingaben bzw. Programmaufrufe, die während der Dauer des digitalen Tests auf dem Gerät getätigt werden.

Datenschutzkonform

Das Proctoring setzen auch Universitäten ein, um digitale Tests und digitale Prüfungen unabhängig von Präsenzpflichten zu realisieren. Selbstverständlich werden die Vorgaben des Datenschutzes berücksichtigt. Wichtig ist gegenüber den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor allem, die Vorteile des Verfahrens zu erklären und klarzustellen, dass es weniger um Kontrolle, sondern vielmehr um die Sicherstellung gleicher fairer Testbedingungen geht.

Vorteile des Proctorings:

für die Teilnehmenden

  • keine An- und Abfahrt zum Abschlusstest
  • entspannte Prüfungsumgebung, ggf. am Arbeitsplatz oder zu Hause
  • Arbeiten mit gewohnter Hardware

für die IHKs bzw. IHK-Bildungszentren

  • keine Raumkosten
  • keine Aufsichtsperson erforderlich
  • bei digitalen Tests liegen sämtliche Antworten/Lösungen bereits in digitaler Form vor. Das erleichtert die Lesbarkeit von Antworten und ermöglicht ggf. auch eine (teil-)automatisierte Auswertung z. B. von Berechnungen.

Weitere Informationen erhalten Sie von der DIHK-Bildungs-gGmbH, Alexandra Zilz.

Kontakt

Alexandra Zilz
Alexandra Zilz Projektreferentin